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AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 27.05.2014


Öffentlicher Bürgergarten der Erinnerung an die jüdische Familie Barasch - Aufruf an alle Berlinerinnen und Berliner
Barbara Gstaltmayr

Ein "Öffentlicher Bürgergarten der Erinnerung" in der Wissmannstraße 11 oder warum der älteste angelegte Garten in Grunewald nicht zerstört werden darf. Initiative und Beitrag von Barbara Gstaltmayr




Am 8. Mai 1945 ankert ein portugiesischer Frachter mit 20 Passagieren im Hafen von Philadelphia (USA). Die meisten Menschen an Bord sind Flüchtlinge aus allen Teilen Europas. Unter ihnen befindet sich auch der 26 jährige Werner Barasch. Nach sieben Jahren Umherirrens durch Italien, Frankreich und Spanien, wo er etliche Male aus Internierungs- und Konzentrationslagern entfloh, gelangt er endlich zu seiner Mutter Irene Barasch-Haas und seiner Schwester Else.

Werner Barasch war bereits 1934 von seinem Vater, dem jüdischen Kaufmann Artur Barasch, nach Italien geschickt worden. Dort sollte er, so schreibt er in "Entronnen", seiner autobiographischen Skizze über die Jahre der Verfolgung, seine Schulausbildung beenden und ein Studium aufnehmen.1938 besteht er die Prüfung am Königlichen Gymnasium im Rom. Artur Barasch kann zur Feier nicht kommen, denn jüdische Reisende werden besonders verfolgt. Werners Mutter jedoch, gerade aus Amerika zurückgekehrt, wo Werners Schwester Else ein Stipendium bekommen hatte, reist an. Inmitten der Überlegungen, ob Werner in Italien bleiben oder besser zu Verwandten in die Schweiz gehen soll, trifft die Nachricht ein: die Mutter kann nicht nach Berlin zurück.

Artur Barasch hatte vor dem Ersten Weltkrieg das Warenhaussystem in Deutschland eingeführt. 1921 war er mit seiner Familie von Breslau nach Berlin-Grunewald gezogen und hatte dort das Grundstück Wissmannstraße 11 mit Villa, Gartenhaus und Garten gekauft. Um seiner Familie den dauerhaften Verbleib außerhalb Deutschlands zu ermöglichen, muss er Geld aufbringen. Am 5. Mai 1939 erwirbt der Bauunternehmer Franz Grossmann für 70.000 RM die Wissmannstraße 11. Nach Abzug einer Hypothek erhält Barasch 30.000 RM. Davon muss er sofort zahlen: Reichsfluchtsteuer und Judenvermögensabgabe. 4735 RM sind der spärliche Rest.
Zwischen 1941 und 1942 wird sein Vermögen sukzessive beschlagnahmt. Mit dem Vorwurf eines Devisenvergehens konfrontiert, wird er 1941 zu sechs Monaten Haft in Plötzensee verurteilt. Wenig später wird er in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert. Am 6. April 1942 wirft sich Artur Barasch dort in den elektrischen Stacheldrahtzaun.

Irene Barasch-Haas und ihre Kinder Werner und Else bleiben nach dem Krieg in Kalifornien. Am 1. Juni 1950 stellt Irene Barasch-Haas beim Treuhänder der Amerikanisch-Britisch-Französischen Militärregierung den Antrag auf Rückerstattung der Wissmannstraße 11. Diese hatte das Grundstück als Zwangsverkauf mit der Begründung "ungerechtfertigter Entziehung durch erzwungenen Vertrag" unter ihre Kontrolle genommen. Sein derzeitiger Besitzer Franz Grossmann versucht der Rückerstattung zu entgehen. Der Verkauf habe zur Aufrechterhaltung des luxuriösen Lebensstils Baraschs gedient, der Verkaufspreis hätte den damals üblichen Preisen entsprochen.

Das Gericht gibt dazu ein Gutachten in Auftrag. Die von der Familie beauftragte Firma Investa schätzt Garten, Villa und Gartenhaus auf 100.000 RM. Das Gericht folgt dieser Ansicht nicht. Am 11. November 1952 verzichtet Irene Barasch-Haas auf die Rückerstattung und lässt sich auf einen Vergleich ein. Grossmann wird zur Nachzahlung von 8.000 DM verpflichtet. Der Fall Wissmannstraße 11 in Berlin-Grunewald ist für die Familie Barasch erledigt.

Die letzte Nachkriegs-Eigentümerin des Grundstücks ist Margarete Heinze-Grossmann. 2007 muss sie Villa und Gartenhaus verkaufen. Der Erlös dient der Sicherung ihrer letzten zwei Lebensjahre in einem Seniorenheim. Bei ungeklärter Erbschaftslage wird das 1.500 qm große Gartengrundstück vom Amtsgerichts Berlin am 1. April 2014 für 1.550.000 Euro an den Berliner Immobilienmakler und Bauherrn Ralf Schmitz verkauft, der auf dem Grundstück eine Luxusvilla erbauen möchte.
Am 6. Januar 2014 telefoniere ich zum ersten Mal mit Toni Ross, der Enkelin von Artur Barasch. Ich berichte ihr von meiner Initiative zur Rettung des Gartens ihrer Familie durch die Umwandlung in einen "öffentlichen Bürgergarten der Erinnerung". Am anderen Ende der Leitung zuerst großes Erstaunen: "Sie kennen die Geschichte meiner Familie? Woher, seit wann?" Dann Freude: "Was für eine phantastische Idee, den Garten zu retten!" Ich erzähle ihr: "Der Garten ist der wahrscheinlich älteste angelegte Garten im Grunewald, entstanden 1891/92. Über 130 Jahre alte Bäume stehen hier."




Mit dem Anliegen, die Familie Barasch zu ehren, so erfährt sie von mir, war ich im Dezember zu Ralf Schmitz Immobilien gegangen. Mir wurde eine Gedenktafel an der neuen Villa in Aussicht gestellt, die auf die Familie verweist. Doch das erschien mir keine befriedigende Lösung. Seither kämpfe ich um die Rettung des Gartens. Bei einem zweiten Besuch berichte ich Ralf Schmitz Immobilien von meiner Vision des Bürgergartens. Dort signalisiert mir ein Mitarbeiter: Würde ich einen zahlungskräftigen Unterstützer finden, der die Kaufsumme für den Garten aufbringt, könnte ich die Idee des Bürgergartens realisieren.

Am 14. März 2014 fand die erste Gedenkfeier statt. Sie enthielt alle Bestandteile der Vision des Bürgergartens. Eine Woche zuvor habe ich mit Nachbarn und dreizehn Jugendlichen den Garten aufgeräumt. Dabei erzählte ich den jungen Leuten vom jüdischen Leben in Berlin vor dem 2. Weltkrieg, vom Leid der Familie Barasch durch Vertreibung, Flucht, Not, Konzentrationslager und Tod, von der Rettung, wie sie Werner Barasch in seinem Buch beschreibt und über die Gespräche mit Toni Ross. Gemeinsames Arbeiten im Garten, gepaart mit politischer Bildung für Demokratie und gegen rechtes Gedankengut, das ist elementarer Teil der Idee.

Einen solchen "Öffentlichen Bürgergarten der Erinnerung" gibt es in Berlin nicht. Einen Garten, in dem sich Berliner Bürger und Bürgerinnen aktiv an der Pflege und Bewahrung beteiligen können, in dem sich Jugendliche künstlerisch mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinander setzen, dem Erinnern widmen und in dem wieder Kinder spielen wie einst Else und Werner.

Noch stehen die Bäume, noch kann der Garten gerettet werden. Was es dafür braucht? Berliner Bürgerinnen und Bürger, Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft, die mit Gestaltungswillen und –freude der Idee zum Leben verhelfen. Noch ist Zeit. Doch sie eilt.

Weitere Informationen: www.buergergartenwissmannstrasse.wordpress.com


Quellen: Gespräche mit Toni Ross, "Entronnen" von Werner Barasch, Verlag Haag + HERCHEN (Hanau) Landesarchiv Berlin.
Copyright Foto: Familie Barasch





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Beitrag vom 27.05.2014

AVIVA-Redaktion